Von Käfern, Bioreaktoren und altem Gestein

Günther-Leibfried-Preis 2001

[7. September 2001]

Der Günther-Leibfried-Preis wird vom Forschungszentrum Jülich jedes Jahr an solche Doktoranden vergeben, die nicht nur wissenschaftlich hervorragende Arbeit geleistet haben, sondern die auch darüber in verständlicher Weise berichten können. Das "Finale" des diesjährigen Wettbewerbs machten heute die drei frisch gebackenen Doktores Peter Schroth, Sebastian Schmidt und Simone Baer-Lang unter sich aus. Nachdem sie im Großen Hörsaal des Forschungszentrums Jülich öffentlich ihren jeweils 20minütigen Vortrag gehalten hatten, verkündete die Jury wenige Minuten später ihr Urteil: Für ihre hervorragenden Leistungen auf dem Gebiet des "Übersetzens" von wissenschaftlichen Themen in für den Laien verständliche Sprache wurde Dr. Sebastian Schmidt und Dr. Peter Schroth der gemeinsame erste Platz und damit je 4.000 DM zugesprochen; 2.000 DM für den dritten Platz gehen an Dr.Simone Baer-Lang. Der Preis wird am 6. November im Rahmen der Jahrestagung überreicht.

Vorbild: Kartoffelkäfers Riechorgan

Nach wie vor stellt der Kartoffelkäfer den wirtschaftlich bedeutendsten Schädling der Landwirtschaft dar. Wurden er und seine Artgenossen noch vor 50 Jahren einfach per Hand von den Kartoffelpflanzen abgesammelt, entledigt man sich des Käfers heute durch Insektizide. Das zeitigt große Erfolge. Allerdings rückten in jüngster Zeit zunehmend Umweltverträglichkeitsprobleme in den Vordergrund. Denn: Der Kartoffelkäfer ist nicht ständig auf dem Feld präsent - Insektizide dagegen werden permanent ausgebracht. Deshalb wäre es von Vorteil, einen Kartoffelkäfer-Sensor zu besitzen, der anzeigt, wann Insektizide gesprüht werden müssen. Genau dieser Aufgabe stellte sich Peter Schroth in seiner Promotionsarbeit, die im Institut für Schichten und Grenzflächen in Zusammenarbeit mit der Universität in Gießen entstand.

Sobald Käfer auf Kartoffelpflanzen landen, beginnen sie, die Blätter anzuknabbern. Die verletzten Blätter setzen ein komplexes Gemisch aus verschiedenen Duftstoffen frei - ähnlich dem Geruch frisch geschnittenen Grases. Dieses Duftstoffgemisch ist es, das andere Käfer auf das Kartoffelfeld lockt. Sie können diesen Duft mit Hilfe ihres feinen Geruchsinnes selbst aus größter Entfernung wahrnehmen und finden so Futterstelle und für die Fortpflanzung unerlässliche Artgenossen. Die niedrigsten Konzentrationen, die sie dabei noch wahrnehmen können, liegen im Bereich von einigen ppt (parts per trillion = Teile pro Billion): die selbe Konzentration, die man erhält, wenn man ein einziges Zuckerkristall in einem Swimmingpool auflösen würde.

Für den Bio-Sensor wird nun des Käfers "Riechorgan" genutzt. Denn alles, was er riecht, wird in den Fühlern in Nervenimpulse umgewandelt, die ins Gehirn geleitet werden, dort erkannt und verarbeitet werden, um dann eine bestimmte Reaktion auszulösen - nämlich: Nichts wie hin zum Kartoffelfeld! Die dabei auftretenden Nervenimpulse macht man sich beim Sensor zu nutze, denn diese lassen sich mit Hilfe eines Feldeffekttransistors (FET) messen. Zwischen Fühler und Transistor werden die elektrischen Signale durch eine Elektrolytlösung geleitet. Mittels dieser Vorrichtung lässt sich also der Nachweis geschädigter Kartoffelpflanzen führen: Durch den Käferfraß werden Duftstoffe frei, die vom Fühler des Käfers in elektrische Signale umgewandelt werden, welche vom FET gemessen, verstärkt und registriert werden.

Und das Beste: Dieser Bio-Sensor könnte in Zukunft auch mit Zellen oder ganzen Nervenfasern statt des Käferfühlers verwendet werden. Die Zellen könnten dann Aufschluss über das Vorliegen giftiger Substanzen geben, und die Nervenfasern könnten so eventuell in der medizinischen Prothetik genutzt werden.

Innovative Technik für die Krebstherapie

Krebs ist in Deutschland nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen zweithäufigste Todesursache. Chemotherapie ist bei Krebs die Standardtherapie - allerdings ist sie mit schweren Nebenwirkungen verbunden: Der Patient erhält Substanzen, die für solche Zellen giftig sind, die sich schnell teilen. Das sind zuerst natürlich die Krebszellen, aber auch alle blutbildenden Zellen. Deshalb muss der Arzt direkt nach einer Hochdosis-Chemotherapie dem Patienten blutbildende Stammzellen injizieren, die dann ein neues blutbildendes System aufbauen können. Diese Zellen stammen entweder vom Patienten selbst - man hat sie ihm vor der Chemotherapie entnommen - oder von einem immunologisch verträglichen Fremdspender. Oft entnimmt man sie aber auch dem Blut der Nabelschnur Neugeborener, da diese sehr reich an blutbildenden Zellen und zudem leicht verfügbar ist. Aber einen Nachteil haben diese Stammzellen: Ihre Zahl ist zu gering; siemüssen vermehrt werden. Sonst reicht es nach der Rücktransfusion in den Patienten nicht für den Wiederaufbau eines blutbildenden Systems. Die Kultivierung von menschlichen blutbildenden Zellen im klinischen Maßstab stellte bislang ein großes technisches Problem dar. Sebastian Schmidt nahm sich in seiner Dissertation dieses Problems an.

Alle reifen Blutzellen des Menschen - rote und weiße Blutkörperchen - haben eine nur begrenzte Lebensdauer, die je nach Zelltyp zwischen wenigen Stunden und etwa vier Monaten liegt. Daher müssen jeden Tag in einem gesunden erwachsenen Menschen etwa 400 Milliarden Zellen ersetzt werden. Produziert werden diese aus den Stammzellen, die sich im Knochenmark befinden. Durch Vermehrung und Reifung entstehen daraus letztendlich alle Typen der menschlichen Blutzellen.

Dr. Schmidt hat im Institut für Biotechnologie zwei verschiedene Bio-Reaktoren zur Vermehrung von blutbildenden Zellen aus Nabelschnurblut entwickelt: einen Festbettreaktor und einen Suspenionsreaktor. In dem Festbettreaktor liegen die Zellen in Kollagenprotein-Kügelchen eingenistet vor, gleichmäßig von immer frischer Nährlösung umströmt, die permanent mit Sauerstoff angereichert und durch eine Pumpe befördert wird. Dieser Reaktor baut recht gut die natürlichen Verhältnisse im Knochenmark nach: Das Festbett aus Kollagen entspricht dem Knochenmark, der Umlauf dem Blutkreislauf, die Pumpe dem Herzen und das Begasungssystem der Lunge. Auch die Ergebnisse waren mehr als zufriedenstellend: Nach zweiwöchiger Kultivierung von blutbildenden Zellen aus Nabelschnurblut konnten diese um den Faktor 100 vermehrt werden.

Der zweite Reaktor-Typ ist ein Suspensionsreaktor, in dem die Zellen frei umher schwimmen. Durch einen speziell platzierten Filter gelang es, die Zellen beim Absaugen der Nährlösung schonend im Reaktor zu halten. Das Ergebnis: Nach zwei Wochen vermehrten sich die Blut bildenden Zellen um das 70-fache. Trotz des leichten biologischen Nachteils gegenüber der Festbettvariante bietet der Suspensionsreaktor einen wesentlichen Vorteil gegenüber dem Festbettreaktor: Er ist im klinischen Laboralltag wesentlich leichter zu handhaben.

Dr. Schmidt konnte abschließend sowohl im Tierversuch wie in einer ersten klinischen Studie nachweisen, dass sein Suspensionsreaktor zu klinisch verwertbaren Ergebnissen führt.

Geheimnisse alter Steine gelüftet

Mit Hilfe der Kernspintomographie (NMR) ist Simone Baer-Lang im Rahmen ihrer Promotionsarbeit den Geheimnissen alter Steine auf die Spur gekommen.

Was versteht man unter NMR? Atomkerne mit ungerader Protonen- und Neutronenzahl verfügen über eine Eigendrehung, den sogenannten Spin, und damit über ein magnetisches Moment. Dieses ist in einer Substanz ohne äußere Einwirkung statistisch verteilt, so dass sich letztendlich kein resultierendes magnetisches Gesamt-Moment ergibt. Durch Anlegen eines äußeren Magnetfeldes zum Beispiel an wasserstoffhaltiges Material werden die Protonen ausgerichtet. Nach Abschalten kehren die Protonen unter Aussendung elektromagnetischer Wellen in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Diese ausgesandten Wellen werden aufgefangen und geben Auskunft über die Protonendichte und über die Umgebung der Protonen in der untersuchten Substanz.

Solche NMR-Messungen lassen sich auch mit speziell vorbereitetem, sogenanntem hyperpolarisiertem Xenon durchführen. Und genau diese Methode, NMR mit hyperpolarisiertem Xenon, ist im Zentrallabor für Elektronik eingesetzt worden, um alte Gesteinsproben aus Griechenland zu untersuchen. So wurden Proben aus der Ostgalerie der mycenischen Akropolis von Tiryns (1300 a.D.) und solche aus dem Fort Palamidi in Nauplion (19. Jahrhundert) untersucht. Überraschenderweise konnte Simone Baer-Lang mit der Methode tatsächlich Signale auffangen, die Aufschluss über die Struktur, Zusammensetzung und die Porengröße innerhalb des Materials geben konnten.

Doch diese Ergebnisse beflügeln die Phantasie natürlich sofort weiter: Eingesetzt werden könnte diese Methode in der Erdölindustrie, um an Hand von Gesteinsproben bei Probebohrungen schon frühzeitig entscheiden zu können, ob weitere Bohrungen nach Öl hier sinnvoll sind oder nicht. Weiter könnten so komplette Gemälde oder Fresken aus alter Zeit archäologisch untersucht werden.

Über den Günther-Leibfried-Preis:

Der seit 1990 verliehene Preis erinnert an Professor Dr. Günther Leibfried, einen langjährigen Direktor des Jülicher Instituts für Festkörperforschung. Der engagierte Professor, der 1977 verstarb, war maßgeblich am Aufbau des Forschungszentrums beteiligt. Noch heute denken viele an seine lebendige Art zurück, mit der er Forschungsthemen zu vermitteln verstand. Entsprechend werden mit dem Günther- Leibfried-Preis jene Doktoranden ausgezeichnet, die ihre Forschungsergebnisse für ein breites Publikum verständlich erläutern. Von den diesjährigen schriftlichen Bewerbungen um den Preis hatte die Jury im Vorfeld drei Nachwuchswissenschaftler für das mündliche "Finale" ausgewählt.

2001-42-LeibfriedPreis-2001-klein_jpg
Nach dem "Finale" im Großen Hörsaal des Forschungszentrums Jülich (v.l.n.r.): Prof. Dr. Detlev Stöver, Dr. Peter Schroth , Dr. Simone Baer-Lang, Dr. Sebastian Schmidt, Prof. Dr. Joachim Treusch.
Forschungszentrum Jülich
Letzte Änderung: 19.05.2022