Neue Himmelskarte veröffentlicht

Hunderttausende neue Galaxien entdeckt

Jülich / Dwingeloo, 19. Februar 2019 - Ein internationales Team von mehr als 200 Astronominnen und Astronomen aus 18 Ländern hat erste Karten einer Himmelsdurchmusterung von bisher unerreichter Empfindlichkeit mit dem Radioteleskop "Low Frequency Array" (LOFAR) veröffentlicht. Die Karte enthüllt Hunderttausende unbekannter Galaxien und wirft ein neues Licht auf Forschungsgebiete wie Schwarze Löcher, interstellare Magnetfelder und Galaxienhaufen. Eine Sonderausgabe der Fachzeitschrift "Astronomy & Astrophysics" widmet sich den ersten 26 Forschungsarbeiten, in denen die Ergebnisse beschrieben werden.

Die Radiogalaxie 3C31, die von Heesen et al (2018) mit LOFAR beobachtet wurde, ist rot über einem optischen Bild dargestellt. LOFAR konnte zeigen, dass die Radiogalaxie mehr als 3 Millionen Lichtjahre groß ist.
Die Radiogalaxie 3C31, die von Heesen et al (2018) mit LOFAR beobachtet wurde, ist rot über einem optischen Bild dargestellt. LOFAR konnte zeigen, dass die Radiogalaxie mehr als 3 Millionen Lichtjahre groß ist.
Volker Heesen/LOFAR-Surveys-Team

LOFAR (Low Frequency Array) ist ein riesiges europäisches Netzwerk von Radioteleskopen, die über ein Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetz miteinander verbunden sind und deren Messsignale zu einem einzigen Signal kombiniert werden. Leistungsstarke Supercomputer verwandeln 100.000 Einzelantennen in eine virtuelle Empfangsschüssel mit einem Durchmesser von 1.900 Kilometern. LOFAR arbeitet in den bisher weitgehend unerforschten Frequenzbereichen zwischen etwa 10 bis 80 Megahertz (MHz) und 110 bis 240 MHz. Es wird von der Forschungseinrichtung ASTRON in den Niederlanden gesteuert und gilt als das weltweit führende Teleskop seiner Art. "Diese Himmelskarte ermöglicht eine unglaubliche Zahl von wissenschaftlichen Entdeckungen von bleibendem Wert. Der hohe Aufwand und die eingegangenen Risiken bei der Entwicklung von LOFAR werden durch diese Ergebnisse reichlich belohnt", sagt Dr. Carole Jackson, Generaldirektorin von ASTRON. In Deutschland befinden sich sechs Messstationen, die von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen betrieben werden. Eine davon befindet sich südöstlich vom Forschungszentrum Jülich und wird vom Forschungszentrum und der Ruhr-Universität Bochum gemeinsam betreut.

Hier sind die wichtigsten Ergebnisse in sechs Punkten:

Die neue Himmelskarte

Mit Hilfe von LOFAR haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun eine neue Himmelskarte erstellen können. Viele der dort abgebildeten Galaxien waren bisher unbekannt, da sie extrem weit entfernt sind und ihre Radiosignale Milliarden von Lichtjahren zurücklegen müssen, um die Erde zu erreichen. Zudem ermöglichen Radiowellen kosmische Phänomene zu erforschen, die im für Menschen sichtbaren Wellenlängenbereich nicht beobachtet werden können.

LOFAR: Galaxiencluster Abell1314
Eine neue Sicht auf das Universum: Das Bild zeigt das Galaxiencluster Abell 1314. In Grautönen ist ein Stück vom Himmel zu sehen, wie wir ihn im sichtbaren Licht wahrnehmen. Die orangefarbenen Farbtöne zeigen die radioemittierende Strahlung im gleichen Teil des Himmels. Das Radiobild sieht gänzlich verschieden aus und ändert unsere Annahmen darüber, wie Galaxien entstehen und sich entwickeln.
Rafaël Mostert/LOFAR Surveys Team/Sloan Digital Sky Survey DR13

Schwarze Löcher

Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem Radioteleskop den Himmel beobachten, ist hauptsächlich Strahlung aus der Umgebung von Schwarzen Löchern zu sehen, die Millionen Mal schwerer sind als die Sonne. "Mit LOFAR wollen wir herausfinden, welchen Einfluss die Schwarzen Löcher auf die Galaxien haben, in denen sie sitzen", sagt Prof. Dr. Marcus Brüggen, Astrophysiker von der Universität Hamburg. Prof. Dr. Huub Röttgering von der Universität Leiden und wissenschaftlicher Leiter der Himmelsdurchmusterung ergänzt, "Und wir wollen herausfinden, woher diese Schwarzen Löcher kommen."

Wenn Gas auf Schwarze Löcher fällt, stoßen sie Materialstrahlen ‒ sogenannte Jets ‒ aus, die bei Radiowellenlängen sichtbar sind. Aufgrund der bemerkenswerten Empfindlichkeit von LOFAR konnten die wissenschaftlichen Teams jetzt zeigen, dass diese Jets in jeder riesigen Galaxie vorhanden sind und dass Schwarze Löcher ständig wachsen.

Magnetfelder

Mit der Radiostrahlung, die LOFAR empfängt, können zudem kosmische Magnetfelder gemessen werden. So haben die Forscherinnen und Forscher aus Deutschland die Magnetfelder innerhalb von Galaxien vermessen und auch zwischen diesen nachgewiesen. Dabei konnten sie zeigen, dass sich zwischen Galaxien enorme magnetische Strukturen befinden. Dies bestätigt theoretische Vermutungen, konnte bislang aber nicht nachgewiesen werden.

Galaxienhaufen

Durch die Verschmelzung zweier Galaxienhaufen werden Radioemissionen ‒ sogenannte Radiohalos ‒ mit einer Größe von Millionen von Lichtjahren erzeugt, wie Dr. Amanda Wilber von der Sternwarte der Universität Hamburg erläutert: „Radiohalos werden von extrem schnellen Elementarteilchen hervorgerufen. Mit LOFAR können wir erforschen, welche kosmischen Beschleuniger diese Teilchen erzeugen und was diese antreibt.“

Dr. Matthias Hoeft von der Thüringer Landessternwarte Tautenburg fügt hinzu: "Wenn Galaxienhaufen verschmelzen, entstehen riesige Stoßwellen. Mit LOFAR können wir deren Radioemission aufspüren und lernen dadurch viel über das Gas am Rand der gigantischen Galaxienhaufen."

Qualitativ hochwertige Bilder

JSC Distributed Storage System
Das Forschungszentrum Jülich beherbergt nahezu 15 Petabyte an LOFAR-Daten. Sie werden in einem Distributed Storage System gespeichert
Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Die Erstellung von Radiohimmelskarten mit niedriger Frequenz bedarf sowohl beträchtliche Teleskop- als auch Rechenzeit und erfordert die Analyse der Daten durch große Teams. „LOFAR produziert gigantische Datenmengen ‒ wir müssen das Äquivalent von zehn Millionen DVDs verarbeiten. Dies stellt höchste Ansprüche an Soft- und Hardware und ist nur durch ein internationales und interdisziplinäres Team möglich“, sagt Prof. Dr. Dominik Schwarz von der Universität Bielefeld und Repräsentant Deutschlands beim Steuerungsgremium von LOFAR.

"Wir haben in Deutschland mit dem Forschungszentrum Jülich zusammengearbeitet, um die riesigen Datenmengen effizient in qualitativ hochwertige Bilder umzuwandeln. Diese Bilder sind nun öffentlich und werden Astronominnen und Astronomen die Möglichkeit geben, die Entwicklung von Galaxien in bisher unerreichter Detailgenauigkeit zu untersuchen", ergänzt Prof. Dr. Ralf-Jürgen Dettmar von der Ruhr-Universität Bochum.

Die Daten des LOFAR-Projekts werden am Jülich Supercomputing Centre bearbeitet, unter anderem am modularen Supercomputer JUWELS.
Die LOFAR-Daten werden am Jülich Supercomputing Centre bearbeitet, unter anderem am modularen Supercomputer JUWELS.
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Das Forschungszentrum Jülich beherbergt nahezu 15 Petabyte an LOFAR-Daten. "Dies ist fast die Hälfte aller LOFAR-Daten, eine der größten astronomischen Datensammlung der Welt. Die Verarbeitung dieser gigantischen Datensätze stellt eine große Herausforderung dar. Was normalerweise auf herkömmlichen Computern Jahrhunderte gebraucht hätte, konnte durch die Verwendung von innovativen Algorithmen und extrem leistungsfähiger Computer auf ein Jahr reduziert werden", sagt Prof. Dr. Dr. Thomas Lippert, Institutsleiter vom Jülich Supercomputing Centre. Jülich ist eins der drei Datenzentren des LOFAR-Projekts. Außerdem managt das Jülich Supercomputing Centre den Daten-Netzwerkverkehr zwischen den deutschen LOFAR-Stationen und zum zentralen LOFAR-Rechner in Groningen.

Ausblick

Die 26 nun in einer Sonderausgabe von Astronomy & Astrophysics veröffentlichten Arbeiten basieren auf nur etwa zwei Prozent der mit LOFAR geplanten Beobachtungen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen nun die gesamte nördliche Himmelskugel kartieren. Sie erwarten schließlich rund 15 Millionen Radioquellen zu finden.

Die nahegelegene Spiralgalaxie M106 in einem optischen Bild, mit LOFAR-Radioemission überlagert.
Die nahegelegene Spiralgalaxie M106 in einem optischen Bild, mit LOFAR-Radioemission überlagert. Die hellen Funkstrukturen im Zentrum der Galaxie sind keine echten Spiralarme, sondern vermutlich auf die Aktivität aus dem zentralen supermassiven Schwarzen Loch der Galaxie zurückzuführen.
Cyril Tasse/LOFAR Surveys Team

LOFAR in Deutschland

Deutschland ist neben den Niederlanden mit sechs Stationen der größte internationale Partner bei LOFAR. Die Radio-Teleskop-Stationen werden von der Ruhr-Universität Bochum, der Universität Hamburg, der Universität Bielefeld, dem Max-Planck Institut für Radioastronomie in Bonn, dem Max-Planck Institut für Astrophysik in Garching, der Thüringer Landessternwarte, dem Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam und dem Forschungszentrum Jülich betrieben. Diese Institutionen sind im GLOW (German Long Wavelength) Konsortium zusammen geschlossen. Gefördert wird LOFAR in Deutschland von der Max-Planck-Gesellschaft, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, den jeweiligen Bundesländern und von der Europäischen Union.

Die Jülicher LOFAR-Station DE605 besteht aus zwei Antennenfeldern zur Messung hoher und niedriger Frequenzen. Der Container in der Mitte enthält Elektronik zur Verarbeitung der Signale der einzelnen Antennen.
Die Jülicher LOFAR-Station DE605 besteht aus zwei Antennenfeldern zur Messung hoher und niedriger Frequenzen. Der Container in der Mitte enthält Elektronik zur Verarbeitung der Signale der einzelnen Antennen.
Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Originalveröffentlichungen:

"LOFAR Surveys", 26 Fachartikel als Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Astronomy and Astrophysics“ 2019

Weitere Informationen:

Website der LOFAR Surveys (englisch)

LOFAR: häufigste und außergewöhnlichste Formen der entdeckten Radioobjekte (englisch)

Flying through the radio Universe with LOFAR (Video by Astron)

LOFAR Surveys short (Video by Astron)


Bilder zu den LOFAR-Surveys

Website des Jülich Supercomputing Centre (JSC)

Pressemitteilung zum Startschuss für die LOFAR-Station Jülich, Oktober 2011:
Dem Himmel neu entdecken

Ansprechpartner:

Dr. Thomas Fieseler,
Jülich Supercomputing Centre (JSC)
Tel.: 02461 61-1602
E-Mail: t.fieseler@fz-juelich.de

Pressekontakt:

Dr. Regine Panknin
Forschungszentrum Jülich, Unternehmenskommunikation
Tel. 02461 61-9054
E-Mail: r.panknin@fz-juelich.de

Letzte Änderung: 02.06.2022