Quantencomputer: „Es kommt darauf an, jetzt schon realistische Anwendungen zu entwickeln.“

Jülich, 16. März 2021 – Quantencomputer könnten heutige Superrechner in einem Maße übertreffen, das sich bislang nur erahnen lässt. Doch noch ist viel Pionierarbeit zu leisten. Wichtige Weichen für die Entwicklung dieser Zukunftstechnologie werden gegenwärtig gestellt. Über die aktuellen Entwicklungen sprachen wir mit Frank Wilhelm-Mauch, der am Forschungszentrum Jülich den Bau des ersten frei programmierbaren europäischen Quantencomputers im Rahmen des europäischen Flaggschiff-Projekts OpenSuperQ koordiniert.

Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch
Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch, Leiter des Peter Grünberg Instituts, Quantum Computing Analytics (PGI-12)
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Herr Professor Frank Wilhelm-Mauch, alle wollen den Quantencomputer, wo steht die Entwicklung momentan?

Mit der Demonstration des Quantenvorteils durch Google im Jahr 2019 und durch die chinesische Akademie der Wissenschaften 2020 mit 50 Qubits beziehungsweise 100 Lichtteilchen wurde gezeigt, dass Quantencomputer in künstlichen Tests die größten klassischen Supercomputer übertreffen. Jetzt kommt es darauf an, realistische Anwendungen zu entwickeln, und zwar nicht erst mit einer Million Qubits.

Wenn wir heute von Quantencomputern reden, dann geht es dabei um Großgeräte für die Forschung und Entwicklung. Sie müssen sukzessive größer werden, und Entwickler können sie nutzen, um ihre Anwendungen zu optimieren und somit kleiner und effizienter zu machen, damit sich Hardwareleistung und Softwareanforderungen irgendwann treffen. Wo zwischen 100 und einer Million Qubits das passiert, ist eine offene wissenschaftliche Frage.

Worauf kommt es zur Leistungsverbesserung an?

Auf absehbare Zeit kommt es erst einmal auf die Verringerung der Fehlerwahrscheinlichkeit an, die in Quantencomputern ein viel größeres Problem ist als in klassischen. Die 50 und mehr Qubits, die aktuell führende Plattformen erzielen, sind kaum nutzbar. Wenn man die oben erwähnten realistischen Anwendungen oder Benchmarks darauf laufen lässt, verwenden die auch nur maximal 12 der über 50 Qubits, weil danach die Fehler Überhand nehmen.

Zur Reduktion von Fehlern gibt es eine Reihe, auch grundlegender, Forschungsansätze. Erst danach macht die Erhöhung der Zahl der Qubits wirklich Sinn. Viele Josephson-Kontakte – das sind die Grundbauelemente eines supraleitenden Quantenchips – auf einen Chip packen kann man seit den 1990er Jahren, aber alle für den Rechner nutzbar zu machen ist die Kunst.

US-amerikanische Firmen wie IBM und Google planen bereits mit Tausenden Qubits. Deutschlands Quanten-Roadmap peilt gerade einmal 500 Qubits an. Kann Deutschland so einen Wettbewerbsvorteil erreichen?

Ich kann hier nur betonen, dass alle Qubits nutzbar sein müssen – im Sinne der geringen Fehlerrate, wie oben beschrieben. Vor allen Dingen aber braucht es die enge Verzahnung zwischen Anwendung und Hardware, um die verschiedenen Möglichkeiten maßgeschneiderter Hardware auszunutzen, insbesondere im Bereich zwischen den gatterbasierten, universellen Quantencomputern und den adiabatischen Quantencomputern, die oft auch als Quanten-Annealer bezeichnet werden.

Letztgenannte sind deutlich einfacher aufgebaut, und nur für spezifische Probleme nutzbar, beispielsweise für die Optimierung von Verkehrsflüssen. Dafür ist ihre Entwicklung schon deutlich weiter fortgeschritten, sodass diese Maschinen vermutlich viel früher für realistische Anwendungen eingesetzt werden können als universelle Quantencomputer. Wir haben in Deutschland mit der vorhandenen Expertise in der Grundlagenforschung das Know-how, das Beste aus zwei Welten zu entwickeln und nutzbar zu machen.

2 Milliarden Euro will die Bundesregierung in den nächsten vier Jahren im Rahmen des Konjunkturpakets zusätzlich in die Erschließung von Quantentechnologien stecken. Die ersten 120 Millionen Euro Fördergelder wurden im letzten Monat vergeben, für die Entwicklung von Quantenprozessoren in Deutschland. Welche Impulse erwarten Sie sich von davon?

Auf diesen Hardware-Call haben wir lange gewartet. Er erlaubt es uns, Kräfte bundesweit zu bündeln und Quantencomputing auch in Deutschland von der Grundlagen- zur angewandten Forschung zu bringen. Hier können wir auch mit neuberufenen Kolleginnen und Kollegen sowie Firmen wie Infineon, IQM und HQS zusammenarbeiten.

Jülich ist bei drei Projekten dabei, weitere Entscheidungen stehen noch aus – diese Ausschreibung lief also ganz hervorragend. Wir sind in mehreren Hardwareplattformen unterwegs und zeigen, dass in verschiedenen Gebieten unsere Kompetenz in Deutschland unumgehbar ist.

Die „Roadmap Quantencomputing“, die ein Expertenkreis im Auftrag der Bundesregierung erstellt hat, schlägt als zentrales Element die Gründung sogenannter Quanten-Hubs vor. Warum brauchen wir jetzt schon eine solche Konzentration auf einige wenige Standorte?

Ich würde das nicht als „Konzentration“ auf bestimmte Standorte, sondern als eine Konzentration auf schlagkräftige Teams bezeichnen – die Hubs können und sollen die Besten aus Deutschland zusammenbringen. Die Quanten-Hubs haben zwar Schwerpunkte, sind aber nicht alle am gleichen Ort. Wir brauchen diese Konzentration, um der großen Herausforderung dieses Themas gewachsen zu sein und um koordiniert vorzugehen. Ein Quantencomputer fußt auf vielen Komponenten und Technologien – viele von denen kommen aus der klassischen Physik – und so können wir die abgestimmt und kompatibel entwickeln und dabei das richtige Maß an Redundanz behalten – als Sicherheitsreserve, aber nicht zu viel. Neben der Komplexität des Themas ist es das auch, was wir im internationalen Geschehen brauchen, um das Potenzial der deutschen Wissenschaftslandschaft zu realisieren.

Welche Rolle könnte das Forschungszentrum Jülich künftig bei der Entwicklung von Quantencomputern spielen?

In Jülich konzentrieren wir uns auf Festkörper-Qubits in enger Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die zum überwiegenden Teil aus Deutschland kommen in einem kohärent aufgebauten Programm. Wir arbeiten sowohl an supra- als auch an halbleitenden Qubits, und wir haben das wichtige Ökosystem mit Anwendung, Theorie, und unterstützender Technologie eng verzahnt. Mit einigen strategisch wichtigen externen Partnern können wir der deutsche Hub für diese Plattformen werden.

Weitere Informationen:

Pressemitteilung zum QUASAR-Projekt: „Shuttle zum Quanten-Prozessor ‚Made in Germany‘“ vom 24. Februar 2021

Pressemitteilung von IQM zum DAQC-Projekt : „Neues EU-Konsortium gestaltet die Zukunft des Quantum Computing“ vom 12. Februar 2021

Pressemitteilung zum GeQCoS-Projekt: „Mit supraleitenden Qubits auf dem Weg zum Quantencomputer“ vom 29. Januar 2021

„Kräfte bündeln für Europas Quantenrechner“, Interview mit Prof. Franck Wilhelm-Mauch vom 1. Juli 2020

Dossier: Quantentechnologie

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch
Peter Grünberg Institut, Quantum Computing Analytics (PGI-12)
Tel.: +49 2461 61-6106
E-Mail: f.wilhelm-mauch@fz-juelich.de

Pressekontakt:

Tobias Schlößer
Unternehmenskommunikation
Forschungszentrum Jülich
Tel.: +49 2461 61-4771
E-Mail: t.schloesser@fz-juelich.de

Letzte Änderung: 20.06.2022